Rendez-vous mit Bonsma & Reist
Progr Ost, 2. Stock, Atelier 258. Morgensonne, Kaffee, Gipfeli und ein Gespräch mit Bonsma & Reist. «Okay, wenn der Kaffee schwarz ist?» Klar ist das okay, schwarz passt. Schwarz wäre auf Nachfragen schliesslich auch eine der drei Farben – nebst Silber und Neonorange – für die sich Dimitri Reist und Noah Bonsma derzeit entscheiden würden, wenn sie es müssten. Oder wärs doch RGB?
Interview und Text: Rea Wittwer
Kunst, Gestaltung und Kultur wurde euch beiden quasi in die Wiege gelegt. Wie prägten die Eltern euren Weg?
Dimitri: Es gab eine Zeit in meiner Jugend, da hat mich die Kunstszene, in der sich meine Eltern bewegten, nicht interessiert. Ich spielte lieber Fussball bei YB und FC Bern und konnte nicht viel mit Vernissagen, Zigarettenrauch und Wein anfangen (lacht). Erst mit dem Freundeskreis wuchs mein Interesse für Graffiti, Kultur und Kunst.
Noah: Sicher konnten wir sehr vieles erfahren und gratis mitnehmen durch unsere Eltern. Ihre Arbeit war immer präsent und hat uns geprägt – wir bekamen auch die Schwierigkeiten als Selbstständige im Architektur-, Kultur- und Kunstumfeld mit. Gezeichnet habe ich immer schon viel und gerne, absolvierte zuerst jedoch das Gymnasium mit Schwerpunkt Mathematik und Naturwissenschaften...
...und dann gab es ein Aha-Erlebnis, das euch zur Gestaltung geführt hat?
Noah: Das gab es tatsächlich. Mit Anfang 20 besuchten wir die Open Days an der Hochschule der Künste in Bern. Das hat uns nachhaltig beeindruckt.
Dimitri: Die Atmosphäre an der HKB, die offenen Ateliers, die Einblicke in die Arbeiten, die Architektur, die ganze Stimmung – das alles war brutal inspirierend. Wir waren total geflasht.
Noah: Total. So sehr, dass wir in der S-Bahn von Bümpliz zurück nach Bern nicht merkten, dass wir in der 1. Klasse sassen und kontrolliert wurden. Zack, 200 Stutz Busse. Das war fies (beide lachen).
Noah Bonsma und Dimitri Reist mit Plakat Bieler Fototage 2019
A propos Inspiration: Wie findet ihr frische Ideen?
Dimitri: Ich glaube, man kann die romantische Vorstellung von kreativer, künstlerischer Arbeit etwas entmystifizieren. Da fliegen einem nicht ständig und aus dem Nichts die besten Ideen zu. Es ist unsere Aufgabe und tägliche Arbeit, Ideen zu finden.
Noah: Die Ideen kommen mit dem Auftrag der Kund:innen: Sie bringen eine Aufgabe, ein Problem – wir wollen es lösen. Hier startet der kreative Prozess. Im aktuellen Jahresbericht für das Swiss Center for Design and Health, den wir gestaltet haben, steht ein Zitat von Karl Lagerfeld: «Ich arbeite nicht, weil ich Ideen habe. Ich habe Ideen, weil ich arbeite.» Das beschreibt die kreative Tätigkeit sehr schön. Kreativität lebt auch dank Restriktionen. Wir arbeiten mit Vorhandenem und suchen dabei die Freiheiten. Bei jedem Auftrag geht es um diese Balance.
Dimitri, du lebst seit vier Jahren in Brüssel, du Noah in Bern. Wie ist eure Arbeitsweise?
Dimitri: Wir tauschen uns täglich aus, treffen uns wöchentlich digital und regelmässig auch vor Ort in Bern oder Brüssel. Unsere Projekte setzen wir gemeinsam um, wobei immer jemand den Lead hat. Das Finden der visuellen Sprache, den kreativen und konzeptionellen Prozess, durchlaufen wir gemeinsam.
Noah: Im Moment arbeiten wir an verschiedenen Webprojekten und an einem interessanten Buchprojekt für eine Schweizer Kunststiftung. Wir pflegen eine hohe Affinität zu Papier, Druck und Haptik. In unserem Studio halten sich digitale und analoge Arbeiten in etwa die Waage. Die Dualität der beiden Bereiche finden wir sehr reizvoll.
Wie wichtig sind Auszeichnungen und Erfolge?
Dimitri: Ich habe mich sehr gefreut über den Swiss Design Awards 2023 für meine Forschungsarbeit «The music is the making of the music». Als Studio beteiligen wir uns ansonsten wenig am Auszeichnungs-Zirkus. Erfolg ist für uns in erster Linie nicht der Gewinn eines Awards – sondern viel mehr, dass wir das Privileg haben, täglich an Projekten zu arbeiten, die uns Spass machen und uns wichtig erscheinen. Aber klar, eine Auszeichnung ist eine schöne Bestätigung, dass unsere Arbeit wertgeschätzt wird.
Noah: Wir sind recht bescheiden, vielleicht sollten wir einmal mehr auf Erfolge anstossen.
Bei euren Projekten arbeitet ihr auch mit Partner:innen zusammen. Was ist euer Bezug zu Uldry?
Noah: Diese Geschichte könnte fast arrangiert wirken, aber es war so! Ich erzähle sie: Meine Abschlussarbeit an der HKB im 2009 war eine Plakatserie; das Sujet des Folgeplakats wurde jeweils mit einer neuen Farbe über das vorherige Plakat gedruckt. Rasch war klar, dass Uldry dies sowohl vom Format wie auch von der Technik her – damals noch im Siebruckverfahren – realisieren müsste. Mein Budget von der Schule war etwa 800 Stutz. Ich dachte, ich lege die Differenz dann obendrauf.
Am Tag als die Plakate gedruckt wurden, führte mich Jacques Uldry durch den Betrieb. So viele Leute, die beteiligt waren an der Produktion meiner Plakate. Der legendäre Farbraum, wo die Farben gemischt wurden, die inspirierende Atmosphäre in der Druckerei: Überall Kunstplakate – alle, die wir immer schon bewundert hatten hingen dort. Es war grossartig. Zum Schluss meinte Jacques, die Arbeit sei offeriert. Ich könne das Geld sicher anders einsetzen. Das hat mich sehr beeindruckt und geprägt.
Dimitri: Daraus ist eine vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit mit Uldry entstanden.
HKB-Abschlussarbeit 2009, Noah Bonsma
Arbeiten von euch und Uldry AG sind unter anderem Ausstellungs-Plakate für die Bieler Fototage oder für das Kunstmuseum Thun.
Dimitri: Für diese Auftraggeber:innen arbeiten wir schon seit Jahren zusammen. Wir hatten in dieser Zeit so viele schöne Momente bei Uldry in der Druckerei; der Austausch bei der Farbabstimmung, durchs Plakatarchiv zu stöbern, während unsere Plakate durch die Maschine laufen – das ist ein super Gefühl.
Noah: Eine vertrauensvolle, angenehme Zusammenarbeit ist für uns sehr wichtig. Deshalb greifen wir immer wieder gerne darauf zurück.
Habt ihr Zeit für freie, eigene Projekte?
Dimitri: Wenn es uns als wichtig erscheint, sicher! Die Arbeit für das Kollektiv NCCFN beispielsweise ist ein Projekt mit fliessenden Grenzen zwischen Auftragsarbeit und freiem Engagement. NCCFN arbeitet mit Textilien aus Über- oder Fehlproduktionen und nutzt Mode als Medium, um auf die Probleme der Textil-Industrie hinzuweisen.
Ausstellungsplakat Bieler Fototage 2023
Und wenn Geld und Zeit keine Rolle spielen würden, würdet ihr...
Noah: Hmmm. Wir würden wohl nichts anderes arbeiten. Aber sicher viel mehr testen, experimentieren, prototypen. Das wäre ein willkommener Luxus.
über
Noah Bonsma und Dimitri Reist sind seit 2010 Bonsma & Reist: Ein Studio für visuelle Kommunikation mit Affinität zu Kultur und Kunst, gesellschaftsrelevanten und sozialpolitischen Themen. Bonsma & Reist arbeitet in den Bereichen Markenidentität, Editorial Design und Digital-Anwendungen und setzt dabei auf langfristige Beziehungen und Kooperationen.
bonsmareist.com
Ausstellungsplakat Bieler Fototage 2023